
„Robotopia – Sollten wir Arbeit neu denken?“
CCMI nimmt an Podiumsdiskussion teil
Der Begriff „Digitalisierung“ bezieht sich in erster Linie auf die zunehmende Digitalisierung von Alltagsgegenständen: Immer mehr Menschen benutzen Tablets sowie Smart Watches und sogar die Heizung kann in Smart Homes per App gesteuert werden. Der Ausdruck „Industrie 4.0“ beschreibt dagegen den verstärkten Einsatz von Maschinen und Robotern in der Arbeitswelt, erklärt Judith Holle vom Policy Lab zur Begrüßung, bevor sie das Wort an die Moderatoren Vivien Hard und Alexander König übergibt. Die Veranstaltung war so gut besucht, dass manche Zuhörer_innen auf dem Boden saßen. An der Diskussionsrunde nahmen Inke Deharde, Unternehmensberaterin, Konrad Klingenburg von der IG Metall, Prof. Dr. Otto Lüdemann, der sich unter anderem im Hamburger Netzwerk für bedingungsloses Grundeinkommen engagiert, und Prof. Dr. Christian Pfeifer , an der Leuphana Professor für Volkswirtschaftslehre , insbesondere Arbeitsökonomie, teil.
„Die Digitalisierung ist eine enorme Herausforderung, die wir bewältigen können“
In seinem Eingangsstatement erklärte Lüdemann, durch Globalisierung und Digitalisierung sei es notwendig geworden, neue Bedingungen für die Arbeit zu schaffen und zwar idealerweise im globalen, realistischerweise zunächst im europäischen Rahmen. Dazu gehöre ein menschen- und nicht bankenfreundliches Sozial- und Rechtssystem. Deharde stimmte dem teilweise zu: Es sei ein erheblicher Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft spürbar, dieser sei aber zu bewältigen, solange man sich mit den neuen Technologien auseinandersetze und es schaffe, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Dazu müssten vor allem Vorbehalte abgebaut werden. „Arbeit wird auch in Zukunft von Menschen gemacht werden“, war sich auch Klingenburg sicher. „Die Digitalisierung ist eine enorme Herausforderung, aber es ist möglich, diese zu bewältigen – man darf nur nicht in eine Schockstarre verfallen.“
Beteiligung und Qualifizierung können Berufsängste nehmen
‚Die‘ Veränderung in ‚der‘ Wirtschaft gäbe es dabei nicht, führt Klingenburg weiter aus. Es fänden vielmehr mehrere Veränderungen auf verschiedenen Ebenen statt – die Auswirkungen dieser seien in Kleinbetrieben anders als in großen Konzernen. Wichtig sei jedoch überall, die Beschäftigten über anstehende Veränderungen zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen und sich weiter zu qualifizieren. „Der Wandel, der jetzt stattfindet, muss mit den Beschäftigten, die wir jetzt haben, bewältigt werden“, fasste Klingenburg zusammen.
Deharde stimmte dem zu: Nur durch Qualifizierungs- und Beteiligungsmöglichkeiten können man Angestellten die Angst um den Arbeitsplatz und Berührungsängste mit der Digitalisierung nehmen. Bei ihrer Tätigkeit als Unternehmensberaterin habe sie die Erfahrung gemacht, dass die meisten Mitarbeiter zunächst sehr skeptisch auf mögliche Neuerungen reagieren. „Das haben wir vorher nie so gemacht, warum sollten wir das ändern?“, erklärt sie die Sorgen vieler Angestellter. Sobald jedoch die erste Veränderung in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen geschafft sei, steige die Akzeptanz deutlich und es kämen sogar aus den Reihen der Mitarbeiter_innen weitere Vorschläge.
Kein Unternehmen würde alle vorhandenen Arbeitsplätze durch Roboter ersetzen, sind sich Klingenburg und Deharde einig. Denn solche Systeme müssten nicht nur angeschafft, sondern auch installiert und in Stand gehalten werden.
Maschinen können Menschen bereits ersetzen – doch die Akzeptanz dafür fehlt
„Wir brauchen mehr Ehrlichkeit im Bereich der Politik, insbesondere bei der Bildungspolitik“, ist sich Pfeifer sicher. Berufe wie beispielsweise der des Buchhalters könnten bereits heute fast vollständig von Maschinen erledigt werden. Andererseits sei es wichtig, andere Berufsfelder, wie das der Pflege oder MINT-Berufe, weiter auszubilden. Die Akzeptanz von Maschinen hänge dabei vom Konsument ab: Nicht jeder würde sich gern von einem Roboter pflegen lassen, und viele Menschen hätten wenig Vertrauen in ein Flugzeug oder einen Zug, der von einem Roboter gesteuert werde – auch wenn heute schon viele Aufgaben von Lokführer und Pilot von einer Schaltzentrale aus geregelt werden würden.
Alternative Arbeitszeitmodelle: Nur bedingt eine gute Alternative
Alternative Arbeitszeitmodelle wie beispielsweise Vertrauensarbeitszeit seien nur bedingt sinnvoll. Denn bei diesen erwartet der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer, dass dieser mehr arbeitet als beim „normalen“ Arbeitszeitmodell. Grundsätzlich sei Flexibilität für die Arbeitnehmer wichtig, ist Pfeifer überzeugt.
Klingenburg stimmt dem zu: Laut den Ergebnissen einer Umfrage der IG Metall, an der 500 000 Arbeitnehmer teilgenommen haben, ist diesen die flexible Gestaltung der Arbeitszeit wichtig. „Mobiles und digitales Arbeiten vereinfacht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, erläutert Klingenburg. Das sei besonders in Hinsicht auf die Pflege von Kindern, aber auch älteren Familienangehörigen sinnvoll.
Auch die Möglichkeit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens wurde angesprochen. Lüdemann hält dies für eine gute Möglichkeit, Arbeitnehmern mehr Sicherheit zu geben sowie Kreativität und Produktivität zu fördern.
„Das Konzept der Maschinensteuer ist ein deutlicher Schritt zu früh“
Die Kopplung der Industrie 4.0 mit der Maschinensteuer, also einer Abgabe, die auf Maschinen erhoben wird, welche die Arbeit von Menschen ersetzen, sei problematisch. „Die Maschinensteuer ist ein deutlicher Schritt zu früh, denn es kann noch nicht eingeschätzt werden, wie viel die Arbeit des einzelnen Menschen wert ist“, erklärt Deharde ihre Bedenken. Pfeifer stimmt dem zu: Die Maschinensteuer sei noch nicht praktikabel.
„Die Realität und die Zukunft sind Digitalisierung und Industrie 4.0“, verdeutlicht Deharde. „Man kann und soll diesen Prozess nicht aufhalten, sondern muss ihn mit gestalten: Durch die Befähigung von Mitarbeitern und Transparenz.“
In der anschließenden Diskussion kam auch die Frage auf, welche Rolle große Konzerne wie Google und Amazon haben. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass es problematisch ist, wenn Konzerne zu viel Macht und Einfluss haben und damit Einfluss auf die Regierung nehmen können. Durch Unternehmen wie Uber würden außerdem Jobs wegfallen, während gleichzeitig dessen Beitrag zu technischen Innovationen und Fortschritt gering sein.
Die studentische Initiative wurde 2013 an der Leuphana gegründet und will zum Austausch und zur Diskussion über Politik anregen. Im aktuellen Semesterthema „Wem gehört die Zukunft?“ werden die Herausforderungen, die aus Globalisierung und Digitalisierung entstehen, diskutiert. Auch die Themen Einheit von Freizeit und Beruf sowie die Auswirkungen der Abkehr von Parteipolitik sind Teil der Veranstaltungsreihe.